Konzertbericht

1.12.1016 Dezemberkonzert - Stephan-Max Wirth

Bub Boelens (Bass), Stephan-Max Wirth (Saxophon) und Florian Hoefnagels (Drums) in Aktion.  -  Foto: Balzer

LIPPSTADT - Das nächste Stück sei einem großen Europäer gewidmet, sagt Stephan-Max Wirth. Wobei er lange gar nicht gewusst habe, dass er Europäer gewesen sei. ?Ich dachte, der sei Amerikaner?. Um wen kann es gehen, fragt sich der geneigte Jazzclub-Besucher im Lippstädter Kulturcafé Orfeo. Etwa um den genialen Charlie Chaplin? Oder um den heute von vielen kultisch verehrten Erfinder Nikola Tesla?

Weit gefehlt, gemeint ist Charles Bronson. Der war zwar tatsächlich Amerikaner, aber immerhin litauischer Abstammung, und mit einer der unzähligen Actiongranaten des schweigsamen Rächers hat sich der Berliner Saxophonist einst eine Nacht im Hotelzimmer um die Ohren geschlagen. ?Unglaubliches Geballer? sei das gewesen, fasst Wirth den Film sichtlich angetan zusammen. Und das fließt auch direkt in das Stück ?Python? ein.

Mit solchen schrägen Verbindungen kann man traditionelle Jazzfreunde ganz schön erschrecken ? doch das ist der Stephan-Max Wirth Experience zum Glück ziemlich egal. Nicht zuletzt mit der brandaktuellen CD ?Calling Europe!? hat sich das deutsch-niederländische Quartett die Grenzüberschreitung geradezu programmatisch auf die Fahnen geschrieben ? und zwar geographisch ebenso wie musikalisch.

Stephan-Max Wirth hat sich für sein aktuelles Projekt von den verschiedensten Jazzstilen, Stimmungen und Ereignissen inspirieren lassen. Entsprechend facettenreich ist der musikalische Streifzug durch Europa. Das melancholisch-verhaltene ?Winter in Paris? bezieht sich zum Beispiel auf die Terroranschläge vom 13. November 2015, während ?Zoom? von urban anmutender nervöser Energie durchpulst ist. Der ?Kanon? greift dagegen auf eine im Jazz äußerst seltene, hier jedoch wunderbar funktionierende Kompositionsform zurück. Oft wechseln die Stimmungen und Klangfarben auch mitten im Stück. Auf sehr lyrische, vom melodischen Tenor- oder Sopransaxophon dominierte Passagen folgen hochenergetische, sich furios steigernde Sequenzen, hypnotische Klangflächen wechseln sich ab mit mörderischem Groove.

Für Letzteren ist vor allem Bub Boelens zuständig. Der Bassist harmoniert wunderbar mit seinem Saitenpartner Jaap Berends, dessen Gitarrenspiel deutlich vom Rock inspiriert ist. Zuweilen glaubt man Hendrix oder gar Black Sabbath herauszuhören. Komplettiert wird das in adretten psychedelischen Hemden aufspielende Quartett durch Drummer Florian Hoefnagels, dessen zupackendes Spiel den Kompositionen den nötigen Drive verleiht.

So vielseitig die Stücke sind, so sehr verbinden sich die verschiedenen Facetten von ?Calling Europe!? zu einem stimmigen Ganzen. Das Publikum im Orfeo ist entsprechend begeistert. Und vermutlich hätte selbst der sonst so schweigsame Charles Bronson in den (selbstverständlich erhörten) Ruf nach einer Zugabe eingestimmt.

Quelle: ZV Der Patriot GmbH - Andreas Balzer

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